Saarbrücker Zeitung : „Das Königreich ist in einer handfesten Krise“
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Saarbrücker Zeitung : „Das Königreich ist in einer handfesten Krise“

Warum David McAllister auch persönlich enttäuscht über Englands Politiker ist.

Mit den Briten kennt David McAllister (48) sich aus, denn er besitzt die deutsche und britische Staatsbürgerschaft. Umso mehr entsetzt den EU-Parlamentarier und früheren CDU-Ministerpräsidenten von Niedersachsen, was gerade in London passiert.

 

Sehen Sie noch eine Chance für den Brexit-Vertrag?

MCALLISTER Das Unterhaus hat das Austrittsabkommen, das die EU gemeinsam mit der britischen Regierung 17 Monate lange verhandelt hatte, mit einer Mehrheit abgelehnt, die deutlicher war, als erwartet. Nun liegt es an der britischen Regierung und ebenso an den Abgeordneten, einen gangbaren Weg nach vorne aufzuzeigen. Die EU erwartet neue umsetzbare Vorschläge aus London.

Würde einer Verlängerung der Austrittsfrist um drei Monate helfen?

MCALLISTER Das setzt erstens einen entsprechenden Antrag der britischen Regierung voraus, den Theresa May – bis gestern Abend zumindest – stets ausgeschlossen hat. Zweitens müssten dem alle anderen 27 EU-Mitglieder zustimmen. Aus meiner Sicht macht eine Fristverlängerung nur dann Sinn, wenn es eine substantiell veränderte politische Lage in London gibt. Außerdem müssen die Wahlen zum Europäischen Parlament am 26. Mai berücksichtigt werden. Eine Verlängerung, lediglich um Zeit zu gewinnen, aber in der Sache nicht voranzukommen, macht wenig Sinn. Das britische Unterhaus muss sich entscheiden, was es eigentlich will. Am Dienstagabend gab es eine Koalition der gegensätzlichen Positionen von Hard Brexiteers bis Pro-Europäern, die nur im Nein gegen das vorliegende Austrittsabkommen vereint waren. Es mangelt an einer Mehrheit für eine tragfähige Alternative.

Wären nicht Neuwahlen sinnvoll, um den politischen Knoten in London zu lösen?

MCALLISTER Das ist eine innerbritische Entscheidung.

Sehen Sie Chancen für ein neues Referendum?

MCALLISTER Ein zweites Referendum wäre Voraussetzung, den Brexit selbst noch abzuwenden. Auch das müsste das britische Unterhaus entscheiden. Das Parlament in London befindet sich derzeit in einem politischen Patt. Wenn das nicht aufgelöst wird, werden die Rufe nach einem zweiten Referendum noch lauter werden.

Was ist ihr Gefühl als Brite, wenn Sie sehen, was in London passiert?

MCALLISTER Wie sich dieses großartige demokratische Land präsentiert, stimmt einen schon traurig. Der drohende Brexit spaltet die Gesellschaft. Der Riss geht durch Familien, Freundeskreise und Nachbarschaften. Es ist ein toxisches Thema. Eine gravierende Folge ist, dass die Zentrifugalkräfte stark zunehmen. Das Vereinigte Königreich ist ein Zusammenschluss von vier selbstbewussten Nationen. Die Schotten zum Beispiel sind eindeutig proeuropäisch. Das Vereinigte Königreich befindet sich in einer handfesten politischen Krise. Das ist alles die Folge einer unverantwortlichen Kampagne von Nationalisten, Populisten und Demagogen im Jahr 2016.

Können die Deutschen irgendeine Lehre daraus ziehen?

MCALLISTER Wir sollten darauf achten, dass wir uns trotz unterschiedlicher Auffassungen die Fähigkeit zum demokratischen Konsens und Kompromiss bewahren. Die politischen Gräben dürfen nicht so tief werden, dass wir uns unversöhnlich gegenüberstehen. Es zeigt sich, dass es hundert Mal besser ist in der EU zu bleiben und sie zu verbessern, anstatt sie zu verlassen.

Sie meinen, dass Großbritannien wenigstens als abschreckendes Beispiel taugt?

MCALLISTER Das Drama um den Brexit macht deutlich, dass Nationalismus und Populismus nicht zu mehr Souveränität führen, sondern zum genauen Gegenteil: Chaos und Stillstand. Die AfD strebt mit ihrem Europawahlprogramm genau dieses Szenario auch für Deutschland an und stellt damit die denkbar schlechteste Alternative für Deutschland und Europa dar.