DIE WELT: „Russlands Kampagnen auf dem Westbalkan sehen wir mit Sorge“
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DIE WELT: „Russlands Kampagnen auf dem Westbalkan sehen wir mit Sorge“

Von Christoph Schiltz

Der 14. Stock des EU-Parlaments in Brüssel. David McAllister (CDU) hat es eilig. Ein Abendtermin, der Besuch eines Ministers und Reisevorbereitungen. „Ich freue mich, dass Sie da sind. Fangen wir an“, sagt der Chef des Auswärtigen Ausschusses.

 

WELT: Herr McAllister, warum müssen das Kosovo, Bosnien-Herzegowina und vier weitere Staaten des Westbalkans unbedingt EU-Mitglieder werden?

David McAllister: Die sechs Staaten können EU-Mitglieder werden, sofern sie die anspruchsvollen rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen vollständig und nachhaltig erfüllen. Die Europäische Union hat ein ureigenes Interesse an guten Beziehungen zu den Ländern des westlichen Balkans. Entweder wir exportieren Stabilität in den Westbalkan, oder die Instabilität der Region gefährdet den Rest unseres Kontinents.

WELT: Und das lässt sich nur durch einen Beitritt erreichen?

McAllister: Es handelt sich um europäische Staaten, die vollständig von EU-Mitgliedern umschlossen sind. Sie haben eine langfristige europäische Perspektive. Die neue Erweiterungsstrategie der EU-Kommission soll diese Länder ermutigen, den Weg in Richtung EU konsequent weiterzugehen und die notwendigen Reformen durchzuführen.

WELT: Länder wie Bosnien-Herzegowina sind Lichtjahre von einem Beitritt entfernt.

McAllister: Einige der Länder in der Region sind in der Tat noch sehr weit entfernt von einem möglich EU-Beitritt. Das ist aber kein Grund, sich aus dem Balkan zurückzuziehen. Wenn wir das täten, werden andere kommen und unseren Platz einnehmen. Sie sind teilweise schon präsent.

WELT: An wen denken Sie konkret?

McAllister: Der Balkan ist in den Mittelpunkt geostrategischer Interessen gerückt. Wir beobachten seit Jahren wachsende Aktivitäten der Türkei, Russlands, Chinas und der Golfstaaten. Die Interessen sind sehr unterschiedlich, aber letztlich geht es immer darum, den Einflussbereich auszuweiten.

WELT: Russland ist alarmiert, dass der Westbalkan immer stärker in Richtung Westen abdriftet. Sehen Sie eine Gefahr, dass Moskau versucht, die Region zu destabilisieren?

McAllister: Russland hat seine mediale Präsenz in einigen Westbalkanländern ausgebaut. Es wird versucht, durch Desinformationskampagnen gezielt Einfluss zu nehmen. Das gibt Anlass zur Sorge.

WELT: Sehen Sie ein Risiko, dass Russland – ähnlich wie die Krim – bestimmte Gebiete auf dem Westbalkan annektieren könnte, um seine Macht zu sichern?

McAllister: Nein. Und es geht schon gar nicht um Annexionen. Aber man sollte die zunehmenden Aktivitäten wachsam beobachten.

WELT: Moskau sucht auf dem Balkan Verbündete und liefert Panzer und Kampfflugzeuge an Serbien.

McAllister: Belgrad hat traditionell enge Verbindungen mit Moskau. Gleichzeitig nimmt Serbien an Nato-Übungen teil und beteiligt sich an zivilen und militärischen Operationen der EU. So habe ich beispielsweise serbische Sanitätsoffiziere in Mali getroffen, die dort zusammen mit deutschen Soldaten im Einsatz sind.

WELT: Geht das: russische Waffenlieferungen für einen EU-Beitrittskandidaten?

McAllister: Ein Land, das der EU beitreten möchte, muss sich schrittweise unserer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union annähern. Das gilt auch für Serbien. Am Ende entscheiden die EU-Mitgliedstaaten einvernehmlich, ob ein Beitrittskandidat die Voraussetzungen in den jeweiligen Politikbereichen erfüllt hat.

WELT: Die EU-Kommission hat das Jahr 2025 als mögliches Beitrittsjahr für Serbien und Montenegro genannt. War es klug, ein konkretes Datum zu nennen? Damit werden doch nur Erwartungen geweckt.

McAllister: Ob das sinnvoll ist oder nicht, darüber lässt sich trefflich streiten. Bei dem Jahr 2025 handelt es sich um ein indikatives Datum, das auf einem Best-Case-Szenario basiert. Es ist ein politisches Signal der Ermutigung. Aber wie gesagt: Der EU-Beitritt hängt ausschließlich davon ab, ob ein Land die anspruchsvollen politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen tatsächlich erfüllt. Entscheidend ist die Substanz, es gibt keinen Automatismus.

WELT: Aber wie will die Union die Herzen der Menschen gewinnen?

McAllister: In vielen Staaten gibt es schon eine große Zustimmung. Aber richtig ist, dass wir stärker darüber reden sollten, was die EU in der Region Positives bewegt. Allein in Serbien investiert die EU zwischen 2014 und 2020 rund 1,5 Milliarden Euro – in Krankenhäuser, Schulen oder Straßen. Wir sind mit Abstand der größte Geldgeber.

WELT: Trotzdem ist es bis zu einer EU-Mitgliedschaft noch ein weiter Weg.

McAllister: Das stimmt. Dennoch sollten die Interessen der sechs Länder des Westbalkans schon heute bei Entscheidungsprozessen der EU berücksichtigt werden. Das gilt beispielsweise für den Ausbau des Binnenmarktes, der Verkehrsinfrastruktur oder der Energienetze. Es geht darum, die Region an die EU zu binden. Wenn die Menschen spüren, dass es Schritt für Schritt vorangeht, erhöht sich auch die Bereitschaft zu Reformen.

WELT: Neben dem Westbalkan steht auch der Brexit ganz oben auf der Tagesordnung in Brüssel. Der Austritt des Vereinigten Königreichs muss spätestens Ende Oktober geregelt sein, damit das festgelegte Scheidungsdatum am 29. März 2019 eingehalten werden kann. Ist das noch zu schaffen?

McAllister: Die Uhr tickt unaufhörlich. Alle Beteiligten stehen in der Verantwortung.

WELT: Trotzdem hat die britische Regierungschefin Theresa May einen ersten Entwurf des Austrittsvertrags aus Brüssel als „inakzeptabel“ zurückgewiesen.

McAllister: Die Europäische Union ist offen für konstruktive Vorschläge aus London. Die Rede von Premierministerin May am letzten Freitag war konkreter als bisherige. Gleichwohl fehlen noch immer Details. Im Wesentlichen besteht der britische Ansatz offenbar darin, eine maßgeschneiderte Vereinbarung mit der EU anzustreben, die sich an unserem Freihandelsabkommen mit Kanada, Ceta, orientiert, ergänzt um weitere Kooperationen. Wie diese Vorstellung juristisch präzise umgesetzt werden soll, lässt die britische Regierung weiter offen. Klar ist: Für ein Land, das die EU und den Binnenmarkt verlässt, kann es nicht die gleichen Bedingungen geben wie für einen Mitgliedstaat.

WELT: Ideen aus London gibt es aber doch genug.

McAllister: Die britische Regierung will aus der Europäischen Union austreten und trotzdem weiterhin von ihren Vorteilen profitieren. Sie will den EU-Binnenmarkt verlassen, um anschließend wieder ein möglichst enges Verhältnis zum gemeinsamen Markt der EU zu haben. Das ist nicht einfach nachzuvollziehen. Ich bedauere den drohenden Austritt aus der EU nach wie vor unendlich. Aber es hilft ja nichts, der Brexit muss jetzt in einem ordentlichen Verfahren abgewickelt werden.