Süddeutsche Zeitung: In der Warteschleife
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Süddeutsche Zeitung: In der Warteschleife

Sechs Staaten der Region hoffen auf ihren EU-Eintritt. Brüssel aber glaubt, dass frühestens 2025 die ersten Länder so weit sein können. Es will nun eine Strategie vorlegen, die Reformeifer und zugleich Geduld anspornt.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Die erste Ansage war, so haben es die Betroffenen jedenfalls aufgefasst, eine Absage. Die Union und ihre Bürger müssten „den Beitritt von 13 Staaten in den vergangenen zehn Jahren erst einmal verdauen“ und bei der Erweiterung eine Pause einlegen, hatte Jean-Claude Juncker nach seiner Wahl zum Präsidenten der EU-Kommission 2014 gesagt. In seiner fünfjährigen Amtszeit würden laufende Verhandlungen zwar fortgeführt, es werde aber keinen weiteren Beitritt geben. Die sechs EU-Anwärter vom westlichen Balkan verstanden das so: Man will uns nicht.

Am 25. Februar nun begibt sich Juncker auf eine fünftägige Reise durch jene sechs Länder, die sich damals zurückgesetzt fühlten: Mazedonien, Albanien, Montenegro, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo. Sein letztes Jahr im Amt soll möglichst nicht nur im Zeichen des Brexit stehen, sondern auch der ausgebreiteten Arme. So will die EU-Kommission am kommenden Dienstag eine Westbalkan-Strategie verkünden, die den Aspiranten Mut macht. Nach Stand der Dinge soll gar, wenn auch vorsichtig, ein mögliches Datum für die nächsten Beitritte genannt werden: 2025.

„Indikativ“ soll dieses Datum sein, also „unverbindlich“ und nicht als genauer Termin zu verstehen. Deutlich werden soll aber, dass die EU-Kommission es für möglich hält, dass sowohl das in den Verhandlungen weit vorangeschrittene kleine Montenegro als auch Serbien irgendwann zwischen 2024 und 2026 reif sein könnten für den Beitritt. Lange waren solche Termine vermieden worden mit dem Argument, sie könnten als Versprechen missverstanden werden und den Reformeifer bremsen.

Innerhalb der EU ist das Thema aber nicht nur deshalb hoch umstritten. Die Pause, von der Juncker zu Beginn seiner Amtszeit sprach, kann nach dem Geschmack einiger Mitgliedstaaten gar nicht lang genug dauern. Andere wollen endlich ein greifbares Ziel für die Balkanländer. Dazu gehört Bulgarien, das seine Ratspräsidentschaft in diesem Halbjahr am 17. Mai mit einem Gipfel der EU-Staaten und der Westbalkan-Länder krönen möchte. Ein Zieldatum könne den Reformeifer steigern und habe einst auch Bulgarien geholfen, sagt Außenministerin Ekaterina Sachariewa.

„Es ist möglich, dass Montenegro und Serbien die Bedingungen 2025 erfüllen“, sagt der EU-Europaabgeordnete David McAllister (CDU). Unter den sechs Aspiranten aus der Region seien sie „Frontrunner“. Der frühere niedersächsische Ministerpräsident ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament und hat sich als Berichterstatter in den vergangenen Jahren intensiv mit Serbien beschäftigt. Das Land sei „wirtschaftlich auf einem ordentlichen Weg“, sagt er. Es stehe aber vor „großen Herausforderungen“ bei Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und dem Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität. Hinzu komme die Vorgabe der EU, dass Serbien und Kosovo in einer verbindlichen Vereinbarung ihr Verhältnis normalisieren.

Wenn die Kommission demnächst ihre Pläne offenbart, wird sie lavieren müssen zwischen handfesten Interessen der EU, Sehnsüchten in der Region und einer nicht eben erweiterungsfreundlichen öffentlichen Meinung in vielen Mitgliedsländern. Auch McAllister wägt entsprechend vorsichtig seine Worte. Als „Best-case-Szenario“ bezeichnet er den Beitrittstermin für Serbien und Montenegro Mitte des nächsten Jahrzehnts. Das setze voraus, dass beide „alle notwendigen Reformen auch tatsächlich abschließen und umsetzen“.

McAllister ist dabei bewusst, dass die bisherigen Erweiterungsrunden nicht als reine Erfolgsgeschichte wahrgenommen werden. „Gerade weil unbestritten auch manche Fehler gemacht wurden beim vorzeitigen Beitritt Rumäniens und Bulgariens ist es umso wichtiger, strenge Maßstäbe anzuwenden“, fordert er. Das habe allerdings schon das 2013 beigetretene Kroatien zu spüren bekommen. Richtig sei auf jeden Fall, dass die EU sich nun verstärkt der Region zuwende, in der schließlich auch Russland, die Türkei, China und Saudi-Arabien um Einfluss kämpften. „Der westliche Balkan hat deutlich mehr verdient als freundliches Desinteresse“, mahnt er.

Das sehen viele so. Bei einem EU-Gipfel im März 2017 widmeten sich die Staats- und Regierungschefs ausführlich der Region. Sie sprachen darüber, dass neue Kriegsgefahren gebannt und neue Flüchtlingsströme durch oder aus der Region zu verhindern seien. Dann aber rangen sie sich nur zur wolkigen „uneingeschränkten“ Unterstützung der europäischen Perspektive der Region durch. „Wenn wir nicht die Stabilität auf dem Balkan fördern, wird die politsche Instabilität uns unmittelbar betreffen“, warnt McAllister. Dennoch gelte: „Es darf kein Auge zugedrückt werden aus politischen Gründen. Wenn man diesen Beitrittsprozess glaubhaft gestaltet, dann kann man auch die öffentliche Meinung in den Mitgliedstaaten überzeugen.“