Interview in DIE WELT
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Interview in DIE WELT

DIE WELT: Mit etwas Abstand aus Brüssel betrachtet: Welchen Eindruck macht die deutsche Politik gerade?

David McAllister: In Brüssel und in den anderen europäischen Hauptstädten sind sich alle einig, dass es lieber früher als später eine stabile Bundesregierung geben sollte. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass, in diesem für die EU so wichtigen Jahr 2018, notwendige Entscheidungen getroffen werden können. Und zwar bevor 2019 der Wahlkampf für das Europäische Parlament beginnt.

 Geben die Kollegen im EU-Parlament Ihnen gute Tipps zur Regierungsbildung? Oder haben die vor allem Fragen?

Viele fragen mich jedenfalls, warum sich so viele Politiker in Deutschland in der Opposition wohler fühlen als in der Regierung. Politik bedeutet doch Verantwortung zu übernehmen und konkret gestalten zu wollen.

Wie reagieren Sie?

Zunächst einmal versuche ich zu erklären, dass Deutschland sich nicht in einer politischen Krise befindet, sondern dass unser Grundgesetz auch für diese ungewöhnliche Lage hinreichend gewappnet ist und für Stabilität sorgt. Gleichzeitig mache ich deutlich, dass meine Partei, die CDU, seit den Wahlen konstruktiv an der Bildung einer Regierung arbeitet.

Was sagen die Briten? Sind die jetzt ein wenig hämisch?

Nein. Die britischen Kollegen haben derzeit andere Sorgen. Aber auch sie fragen sich natürlich, warum das so lange dauert in Deutschland und wie es sein kann, dass es am 24. September eine Wahl gab und bei uns Mitte Januar noch immer diskutiert wurde, ob es Sinn macht, in Koalitionsverhandlungen einzusteigen. Das versteht nicht jeder auf Anhieb. Auch den Unterschied zwischen Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen muss man den Kollegen erst einmal erklären. Ehrlicherweise musste ich selbst nachschlagen, wie man „Sondierungsgespräche“ eigentlich ins Englische übersetzt.

Und?

Exploratory talks.

Wie sehen Sie selbst die Lage in Berlin?

Nach dem Votum des SPD-Bundesparteitages ist jetzt hoffentlich der Weg frei.

Ihr Name fällt inzwischen häufig, wenn es darum geht, über neue Gesichter für das nächste Kabinett Merkel nachzudenken. Ambitionen zum Beispiel auf das Amt des Verteidigungsministers?

Mein Platz ist in Brüssel und Straßburg. Es ist eine herausfordernde Aufgabe, für die ich mich ganz bewusst entschieden habe.

Aber geschmeichelt fühlen Sie sich schon?

In der Politik empfiehlt es sich, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen und nicht den Verlockungen des Geschmeicheltseins zu folgen. Besser ist es, sich um die eigene Arbeit zu kümmern.

Wollen Sie bei der Europawahl im kommenden Jahr wieder als Spitzenkandidat der CDU antreten?

Unter der Voraussetzung, dass mein heimischer CDU-Bezirksverband Elbe-Weser mich wieder nominiert, trete ich gerne erneut als Spitzenkandidat der CDU in Niedersachsen an. Wir werden unsere Landesliste am 1. Dezember aufstellen. Bei der Europawahl tritt die Union anders als die anderen Parteien nicht mit einer bundesweiten Liste, sondern mit Landeslisten an. Ob es wieder einen nationalen Spitzenkandidaten geben wird, entscheiden die Gremien unserer Bundespartei zu einem späteren Zeitpunkt.

Die Notwendigkeit in einer neuen Bundesregierung neben neuen Zielen auch neue Köpfe zu präsentieren, wie es zum Beispiel der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther angemahnt hat, sehen Sie auch, oder?

Die CDU wird auch bei dieser Regierungsbildung wieder eine gute Mischung aus Frauen und Männern sowie aus erfahrenen und neuen Köpfen finden, die die Vielfalt unserer Partei widerspiegelt. Da bin ich mir sicher.

Die SPD hat dem Ergebnis der Sondierungen mit Ach und Krach zugestimmt – wird das überhaupt was mit der Großen Koalition?

Die Koalitionsverhandlungen sollten nun in der Sache konsequent und im Ton verbindlich geführt werden. Es geht nicht darum, wer sich gegen wen durchsetzt. Maßstab darf allein sein, was der Zukunft unseres Landes dient. Die drei beteiligten Parteien sollten sich deshalb in den bevorstehenden Verhandlungen darauf konzentrieren, dass wir auf der einen Seite den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die soziale Sicherheit stärken und dass wir auf der anderen Seite die wirtschaftlichen Grundlagen unseres Wohlstands nicht gefährden.

Gibt es aus Ihrer Sicht Punkte, an denen die Union den Sozialdemokraten noch sichtbar entgegenkommen kann?

Die Union ist schon in der Sondierungsphase für uns nicht einfache Kompromisse eingegangen. Jetzt wird es darum gehen, die geschlossenen Vereinbarungen zu konkretisieren und zu vertiefen. Der Rahmen dafür ist mit dem Sondierungspapier gesetzt. Wir brauchen zügig eine neue Bundesregierung, die Kraft investiert, um die EU weiter zu stärken. Das Jahr 2018 ist für Europa ein Jahr der Entscheidungen.

Welche Entscheidungen meinen Sie?

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der französische Präsident Emmanuel Macron haben detaillierte Vorschläge gemacht. Beispielsweise die notwendige Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, eine funktionierende Europäische Verteidigungsunion bis 2025 zu schaffen oder die dringend notwendigen Weichen in der Migrationspolitik zu stellen. Diejenigen, die aus berechtigten Gründen bei uns Schutz suchen, müssen künftig gerecht und solidarisch auf die verschiedenen Länder Europas verteilt werden.

Davon müssten Sie die Osteuropäer erst noch überzeugen.

Bei diesem Thema gibt es unterschiedliche Auffassungen zwischen den West- und den Osteuropäern. Und genau diese sollten bis zur Juni-Sitzung des Europäischen Rats in Einklang gebracht werden. Es geht dabei nicht nur um die Verteilung von Flüchtlingen, sondern auch um legale Einreisemöglichkeiten für qualifizierte Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt. Und wir müssen den Schutz der europäischen Außengrenzen deutlich besser organisieren.

Wie soll das geschehen?

Schrittweise muss ein europäischer Grenzschutz weiter ausgebaut werden. Frontex hat mittlerweile bereits 1700 Beamte im Einsatz. Wir sollten die Organisation möglichst bald zur einer European Border- and Coastguard weiterentwickeln, zu einer europäischen Grenz- und Küstenwache. Die europäische Außen-, Außenhandels- und Entwicklungspolitik müssen besser abgestimmt werden. Insbesondere die Herkunftsländer in Afrika sollten viel stärker unterstützt werden als bisher. Wir haben jetzt bis zum Jahresende ein Zeitfenster, in dem wir die notwendigen Reformen auf den Weg bringen können. Das müssen wir schaffen, bevor wir Ende Mai 2019 wieder vor die Wähler treten. Wir können dann hoffentlich sagen: Europa hat geliefert.

Gibt es eigentlich noch eine Chance, dass die Briten doch in der EU bleiben?

Das würde ich mir zwar wünschen, aber die Realität ist, dass die britische Regierung fest entschlossen ist, die EU zu verlassen – was ich für eine folgenreiche Fehlentscheidung halte. Die einzige Möglichkeit, sie zu korrigieren, wäre ein zweites Referendum. Danach sieht es gegenwärtig nicht aus. Dafür bedürfte es einer Mehrheit im britischen Unterhaus. Ein zweites Referendum lehnt nicht nur die konservative Mehrheit ab, sondern mit Labour auch die größte Oppositionsfraktion.

Es ist jetzt fünf Jahre her, dass Sie ihr Amt als niedersächsischer Ministerpräsident bei der Landtagswahl hauchdünn verloren haben. Damals wollten Sie vor lauter Ärger am liebsten die Wände hochlaufen. Es sind auch Tränen geflossen. Können Sie dieser Niederlage im Nachhinein auch etwas Positives abgewinnen? 

Das ist abgehakt. Die Wahl 2013 war ein Einschnitt für die CDU in Niedersachsen, auch für mich persönlich. Aber niemand ist unersetzlich: Das gilt ganz besonders in der Politik. Es ist eine große Ehre, europäische Politik als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament mitgestalten zu können.