Interview in der NOZ: „Rechtspopulisten bleiben Herausforderung für Europa“
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Interview in der NOZ: „Rechtspopulisten bleiben Herausforderung für Europa“

NOZ: Im EU-Parlament haben Sie seit Jahren Erfahrungen mit Rechtspopulisten. Was kommt mit der AfD auf Ihre Kollegen im Bundestag zu?

McAllister: Die meisten Rechtspopulisten im Europäischen Parlament beteiligen sich nicht an der Sacharbeit in den Ausschüssen. Im Regelfall blockieren sie konstruktives Arbeiten und fallen durch irrationale Redebeiträge auf. Das bisherige Wirken der AfD in den Landtagen und dem Europäischen Parlament gibt wenig Anlass zur Vermutung, dass sie im Deutschen Bundestag konstruktiver auftreten wird.

 

Was folgt daraus?
Die AfD sollte konsequent nach den Regeln der Geschäftsordnung behandelt werden. Klar ist, dass der Bundestag keine Bühne für Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und extremen Nationalismus sein darf. Rechtspopulisten sind Problemsucher aber keine Problemlöser. Sie geben auf hochkomplexe politische Fragen allzu einfache Antworten. Deshalb hoffe ich, dass die AfD kein dauerhaftes Phänomen in der deutschen Politik bleiben wird.

 

Viele sehen den Erfolg der AfD in der Tatsache begründet, dass die Große Koalition im Bund die Opposition sehr schwach hat aussehen lassen. Vielen Menschen fühlten sich nicht wahrgenommen mit ihren Problemen. Droht eine Große Koalition in Niedersachen nicht  in dieselbe Falle zu laufen und mittelfristig den Extremen Auftrieb geben?
Die AfD hat in Niedersachsen bislang stets unterdurchschnittlich abgeschnitten. Niedersachsen ist ein Land von Maß und Mitte. Es spricht für uns, dass es Radikale von Links und von Rechts schwerer haben als in anderen Bundesländern. Entscheidend ist jetzt, dass Niedersachsen eine stabile und handlungsfähige Landesregierung bekommt. Eine Große Koalition erscheint derzeit die wahrscheinlichste Variante. Ob Änderungen im Regelwerk des Landtages erforderlich sind, um die Oppositionsrechte zu verbessern, wird der neue Landtag mit Mehrheit entscheiden.

 

Braucht die CDU einen Rechtsruck, um der AfD künftig besser Paroli bieten zu können?
Nein. Die CDU ist eine Volkspartei, verortet in der Mitte der Gesellschaft. Da soll und wird sie auch bleiben. Nachwahluntersuchungen haben gezeigt, dass mehr als zwei Drittel der AfD-Wähler die Partei nicht wegen ihrer Inhalte gewählt haben. Sie wollten vielmehr ihre Unzufriedenheit und Enttäuschung durch ein Protestvotum zum Ausdruck bringen. Wir können potenzielle AfD-Wähler zurückgewinnen, indem wir ihre Sorgen ernst nehmen und konkrete Antworten auf ihre Fragen geben.

 

Welche Ministerien sollte sich die CDU in Niedersachsen sichern?
Für den Fall konkreter Koalitionsverhandlungen gilt: erst die Inhalte, dann die Ressortverteilung und abschließend die personelle Besetzung. Jetzt geht es erstmal darum auszuloten, ob es eine hinreichend große inhaltliche Schnittmenge von SPD und CDU gibt, um eine Landesregierung für eine Legislaturperiode zu bilden.

 

Also Inneres für Herrn Althusmann?
Es geht doch jetzt nicht um Personen und Positionen. Entscheidend wäre, dass die beiden großen Volksparteien in Hannover auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Und das müsste sich am Ende auch in einer fairen Aufteilung der Ministerien widerspiegeln.

 

Kommen wir zu einer anderen Wahl und damit zu Europa. In Tschechien wird demnächst ein Rechtspopulist Regierungschef. Damit wächst in Osteuropa der rechtspopulistische Block mit Ungarn, Polen und Tschechien. Diese Phalanx könnte EU-Reformen für mehr Integration torpedieren. Wird das für die EU zum Problem?
Ja. Die Rechtspopulisten bleiben eine Herausforderung, weil sie skeptisch bis kritisch-ablehnend zur Idee der europäischen Integration stehen. Bislang haben Rechtspopulisten, wenn sie in Regierungsverantwortung sind aber immer auch die Vorteile der EU begriffen.

 

Das kann nicht wirklich trösten. In Österreich werden mit der FPÖ wohl auch Populisten an der Regierung beteiligt. Gesellt sich zu den Visegrad-Staaten da nicht noch ein weiterer wankelmütiger Partner?
Dem designierten Kanzler Sebastian Kurz bin ich letzte Woche beim Gipfel der Europäischen Volkspartei in Brüssel begegnet. Er hat sich ausdrücklich zur europäischen Integration und zur konstruktiven Rolle Österreichs im Rahmen der Debatte um die Zukunft der EU bekannt. Das hat er bislang als Außenminister getan, und er wird diese Politik als Kanzler fortsetzen. Meine Begeisterung, dass die FPÖ in eine Wiener Regierung eintreten könnte, hält sich wahrlich in Grenzen. Entscheidend ist aber, dass der österreichische Bundeskanzler die Richtung in der Europapolitik vorgibt und dass Österreich auch in wesentlichen Sachfragen unser verlässlicher Partner bleibt. Das ist eine Herausforderung für die ÖVP, aber ich bin zuversichtlich, dass Sebastian Kurz das meistern wird.

 

Wie lange steht das Fenster für Reformen, eine „Neugründung“ wie Frankreichs Präsident Macron gesagt hat, offen, wenn sich im Osten Widerstand formiert?
2018 wird ein sehr bedeutendes Jahr für die EU. Wir haben rund 15 Monate Zeit, uns auf die Schritte zu verständigen, in denen es Gemeinsamkeiten gibt: der digitale Binnenmarkt, weitere Handelsabkommen mit Indien, Japan, Mexiko und den Mercosur-Staaten, die Energieunion, der gemeinsame Schutz unserer europäischen Außengrenzen und Küsten, weitere Migrationsabkommen nach Vorbild des Türkei-Deals mit nordafrikanischen Ländern. Wir machen ganz große Schritte in der gemeinsamen Verteidigungspolitik; hier haben wir in den vergangenen zwei Jahren mehr erreicht, als in den 58 Jahren zuvor.

Es gibt unterschiedliche Auffassungen zwischen den Visegrád-Staaten und den anderen EU-Mitgliedern über den Umgang mit Migranten und deren Verteilung in der EU. Es gibt aber auch viele gemeinsame Interessen.

 

Wie sieht es mit der Weiterentwicklung der Zusammenarbeit in der Wirtschaft und Währungsunion aus?
Da muss 2018 etwas passieren, richtig. Ich bin sehr dafür, die auf dem Tisch liegenden Visionen praxisgerecht zu optimieren…

 

Zurecht zu stutzen?
Nein. Unsere gemeinsame Währung muss dauerhaft stabil bleiben. Wir brauchen eine verbesserte wirtschaftspolitische Koordinierung und Haushaltsüberwachung. Der Stabilitätsmechanismus sollte zu einem europäischen Währungsfonds weiterentwickelt werden. Ich bin sehr dafür, die Governance in der Eurozone zu verbessern – aber bitte keine neuen Institutionen schaffen, sondern die existierenden nutzen.

 

Konkret heißt das zum Beispiel?
Kein zusätzliches Eurozonen-Parlament. Der Euro ist die Währung der Europäischen Union. Deshalb ist das Europäische Parlament der richtige Ort für die demokratische Legitimation und Kontrolle. Den Vorschlag von EU-Kommissionspräsident Juncker, dass der Chef der Euro-Gruppe künftig ein Mitglied der Kommission sein sollte, möglichst als Vizepräsident, halte ich für sinnvoll.

 

Und was ist mit dem Vorschlag, Rats- und Kommissionspräsident in einem Amt zu verschmelzen?
Da bin ich zurückhaltend. Der Europäische Rat koordiniert die Staats- und Regierungschefs. Die Kommission ist hingegen die Exekutive der EU und die Hüterin der Verträge. Das sind also unterschiedliche Aufgaben. Eine Verschmelzung der Doppelspitze ist im Übrigen nicht das drängendste Problem, das derzeit in Brüssel besteht.

 

Ein echtes Problem hingegen ist der Kampf Kataloniens um Unabhängigkeit von Spanien. Sollte Madrid den Katalanen entgegenkommen?
Das ist eine innerspanische Angelegenheit. Die Europäische Union hält sich zu Recht öffentlich zurück und wird auch nicht als Vermittlerin tätig werden.

 

Warum nicht?
Nur wenn beide Seiten darum bitten, könnte eine EU Vermittlung denkbar sein. Die spanische Regierung hat das aber kategorisch ausgeschlossen. Eine Lösung des Konflikts kann es nur im Dialog geben, und der sollte auf der spanischen Verfassung fußen.

 

Ist dieses ständige Sich-heraus-halten der EU nicht auch eine Form von Ratslosigkeit, es kann doch nicht egal sein, wenn ein Mitgliedstaat auseinander zu brechen droht?
Spanien ist ein Rechtsstaat. Das Handeln der katalanischen Separatisten war und ist verfassungswidrig. Insofern pocht die Regierung in Madrid konsequent auf die Einhaltung der Verfassung. Auf der anderen Seite gilt es jetzt, den Konflikt zu deeskalieren und miteinander zu reden. Selbst wenn die EU daran vermittelnd Anteil hätte, würde das einen Präzedenzfall schaffen für mögliche künftige Fälle, beispielsweise in Norditalien, Korsika oder Flandern. Daran kann uns nicht gelegen sein. Die EU ist nicht die Oberaufseherin für innerstaatliche Konflikte zwischen der Zentralregierung und den Regionen. Die EU wird dann tätig, wenn fundamentale Werte unserer Verträge verletzt werden. Das ist hier nicht der Fall.

 

Die Menschen identifizieren sich in der Globalisierung wieder stärker mit ihrer Region. Nimmt das die EU nicht ernst genug?
Regionale Identität ist für die Menschen wichtig. Aber von einem angeblichen Gegensatz von Nationen und Regionen halte ich nichts. Im Gegenteil: ein starkes Europa, starke Nationen und starke Regionen schließen sich doch nicht aus. Unsere Bundesrepublik Dwutschland ist dafür ein gelungenes Beispiel. Persönlich habe ich eine dreifache Identität als Niedersachse, Deutscher und Europäer. Das passt sehr gut zusammen.

 

Die Briten brechen endgültig mit der europäischen Identität. Die Austrittsverhandlungen laufen schleppend. Wird der Europäische Rat im Dezember die zweite Phase einleiten, nämlich die Gespräche über die künftige Gestaltung der Beziehungen?
Das sollte das Ziel sein. Denn die Uhr tickt, uns läuft die Zeit davon. Am 30. März 2019 um 00.01 Uhr wird das Vereinigte Königreich die EU wohl leider verlassen haben. Dazu müssen die Verhandlungen auf technischer Ebene bis Ende Oktober nächsten Jahres abgeschlossen sein. Das Brexit-Abkommen muss ja noch von den Mitgliedstaaten ratifiziert und dem britischen Unter- und Oberhaus sowie dem Europäischen Parlament verabschiedet werden.

 

London hat eine Übergangsphase ins Gespräch gebracht. Eine gute Idee?
Ohne eine Übergangsphase nach dem 30. März 2019 wird es nicht gehen. Dabei wird das Vereinigte Königreich alle Regeln des Binnenmarktes einhalten und die Rechtsprechung des EuGH beachten müssen. Diese Phase kann natürlich nur beginnen, wenn vorher ein Austrittsabkommen geschlossen wurde. Ich habe kein Verständnis für die in London vereinzelt weiter geäußerte Positionen, dass ein „no deal“ besser sein könnte als ein „bad deal“. Ein ungeregelter britischer Austritt aus der EU und dem Binnenmarkt, hätte verheerende Konsequenzen. Handelsrechtlich würde das Vereinigte Königreich auf den WTO-Status zurückfallen, wie beispielsweise Bangladesch oder Botswana. Auch für die EU wäre das schlecht. Das Vereinigte Königreich bleibt für Deutschland ein enorm wichtiger Handelspartner, denken Sie nur an die Automobilindustrie, die Chemie oder den Maschinenbau. Wir sollten Partner bleiben.

 

Es hakt am Geld. Es ist unklar, ob die Briten Willens sind, die mit der EU eingegangenen finanziellen Verpflichtungen zu übernehmen. Es ist von bis zu 100 Milliarden Euro die Rede. London will aber maximal 20 Milliarden zahlen. Welche Zahl muss im Dezember schwarz auf weiß auf dem Tisch liegen?
Es geht gegenwärtig nicht um eine konkrete Summe. Das Vereinigte Königreich muss alle eingegangenen rechtlichen Verpflichtungen als EU Mitgliedstaat anerkennen. Daraus lassen sich dann konkrete Beträge errechnen. Sich gegenseitig Zahlen öffentlich um die Ohren zu hauen, ist jetzt nicht hilfreich. Ziel sollte sein, diese Scheidung in einem ordentlichen Verfahren über die Bühne zu bringen ohne unnötige Verletzungen. Dass es so kompliziert und teuer wird, haben die Brexit-Befürworter offenkundig nicht vermutet.

 

Wobei wir wieder beim Thema Populismus wären.
Ja. Der drohende Brexit ist das Werk einer Kampagne von Populisten, die in unverantwortlicher Art und Weise mit Halbwahrheiten und glatten Lügen die Menschen aufgewiegelt haben. Am Brexit ist nichts, aber auch gar nichts gut!

 

Letzte Frage: Wird sich die angespannte Lage zwischen der Türkei und Deutschland EU nach der Freilassung des Menschenrechtlers Steudtner entkrampfen?
Es ist ein gutes Zeichen, dass Herr Steudtner endlich freigekommen ist. Aber es sitzen viele andere unabhängige Journalisten, Bürgerrechtler und Oppositionspolitiker ebenfalls willkürlich in Haft. Die türkische Republik ist weit davon entfernt, ein Rechtsstaat nach unseren europäischen Maßstäben zu sein. Deshalb sehe ich die Entwicklung der Türkei weiterhin mit großer Sorge. Die Beitrittsverhandlungen mit der EU liegen nicht ohne Grund auf Eis.