Im Interview mit der MainPost: „David McAllister und die Quadratur des Kreises“
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Im Interview mit der MainPost: „David McAllister und die Quadratur des Kreises“

Für den deutsch-britischen Europaabgeordneten war der Ausgang des britischen Referendums am 23. Juni ein Schock – bis zuletzt hatte David McAllister (CDU) auf ein Ja zur EU gehofft. Acht Wochen nach dem Votum bleibt jedoch weiter ungewiss, wann das Austrittsverfahren offiziell eingeleitet wird. Wir haben mit ihm gesprochen.

Frage: Herr McAllister, Sie haben unlängst gesagt, Ihre politische Zukunft liege in Europa. Wie fühlt sich das für Sie an, dass eine ihrer Heimaten sein Ausscheiden aus der EU plant?

David McAllister: Das Votum einer knappen Mehrheit habe ich sehr bedauert und halte es für einen großen Fehler. Gleichwohl gilt es, diese Entscheidung zu respektieren. Die EU zu verlassen, ist sicher ein historischer Einschnitt mit Konsequenzen, die auch jetzt, acht Wochen nach dem Referendum, noch nicht vollständig überblickt werden können.

So scheint es ja auch der neuen britischen Regierung zu gehen. Von „chaotischen Zuständen“ im Kabinett von Premierministerin Theresa May ist die Rede. Wie beurteilen Sie die Situation?

McAllister: Es ist eine souveräne Entscheidung der britischen Regierung, ein förmliches Gesuch nach Artikel 50 des EU-Vertrages einzureichen. Die britische Regierung braucht offenkundig noch Zeit, um personell, organisatorisch und konzeptionell so aufgestellt zu sein, dass sie mit den Verhandlungen beginnen kann.

Es heißt, Theresa May könnte das Austrittsverfahren nicht Anfang 2017, sondern womöglich erst zum Jahresende 2017 auslösen. Was würde das für die EU bedeuten?

McAllister: An diesen Spekulationen möchte ich mich nicht beteiligen. Aber ich bin der Auffassung, dass dies rechtzeitig vor den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 geklärt sein sollte. Sobald der Antrag auf Austritt vorliegt, beginnt eine zweijährige Frist für die Verhandlungen. Das offizielle Austrittsgesuch sollte also spätestens Anfang 2017 gestellt werden.

Aber wenn die EU nicht gegen die offensichtliche Verzögerungstaktik aus London vorgeht, macht sie sich damit nicht selbst schwach?

McAllister: Es gilt die rechtliche Grundlage des Artikels 50, an die alle Seiten gebunden sind. Im Übrigen ist es auch im britischen Interesse, die Phase der Unsicherheit nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Gerade die britische Wirtschaft braucht Klarheit, wann der Austritt stattfindet und ebenso wie das künftige Verhältnis zur EU aussehen soll.

Den Zugang dazu will sich das Vereinigte Königreich ja erhalten – aber ohne die Zeche dafür zu bezahlen . . .

McAllister: Das ist die eigentliche Herausforderung. Die Brexit-Kampagne hat vor dem Referendum versprochen, dass man die EU verlassen kann, aber gleichzeitig vollen Zugang zum Binnenmarkt behält, die Arbeitnehmerfreizügigkeit erheblich einschränken kann und die finanziellen Beiträge nicht mehr zu bezahlen braucht. Das ist die Quadratur des Kreises. Man kann nicht mit der EU schrankenlos Handel treiben, ohne sich gleichzeitig an den Kosten zu beteiligen und alle vier Freizügigkeiten des Binnenmarkts zu akzeptieren. Die Phase der Extrawürste und Ausnahmen für London ist nun beendet.

Das heißt?

McAllister: Es muss einen spürbaren Unterschied machen, dass ein Land aus der Europäischen Union austreten möchte. Mein Wunsch ist, dass wir eine gute Handelspartnerschaft hinbekommen, und zwar nach unseren bewährten Regeln.

Dazu gibt es ja mehrere Modelle, die alle nicht recht passen wollen – Norwegen, Schweiz, Türkei . . . Braucht es ein neues, für das Vereinigte Königreich geschaffene Modell?

McAllister: Dafür ist es jetzt noch viel zu früh. Da es keine Blaupause gibt und alle juristisches und politisches Neuland betreten, kann niemand genau vorhersehen, wie das künftige Handelsabkommen aussehen wird. David Cameron hat vor dem „leap into the dark“ gewarnt. Aber vor genau diesem Sprung ins Ungewisse steht das Vereinigte Königreich nun.

Wagen wir einen Ausblick. Wie sieht Europa Ende 2019 aus?

McAllister: Aus meiner Meinung mache ich gar keinen Hehl: Ich wünschte mir, dass die Briten zu der Erkenntnis kommen, dass es besser ist, in der EU zu bleiben. Aber es sieht sehr danach aus, dass das Vereinigte Königreich die EU tatsächlich verlassen wird. Die Europäische Union ist stark genug, um den Austritt des Vereinigten Königreichs zu verkraften und auch mit 27 Mitgliedstaaten weiter voranzuschreiten.

David McAllister

Der 45-Jährige hat eine deutsche Mutter und einen britischen Vater – und die doppelte Staatsbürgerschaft. Der ehemalige Ministerpräsident von Niedersachsen sitzt seit 2014 für die CDU im Europäischen Parlament. Der Vater zweier Töchter, der Jura studiert hat, ist außerdem Vizepräsident der Europäischen Volkspartei. McAllister ist seit 2008 Landesvorsitzender der CDU in Niedersachsen, wo am 11. September Kommunalwahlen anstehen.
Mit freundlicher Genehmigung der MainPost
Foto: Europäisches Parlament