„Einzige Sprache, die Erdogan versteht“: Außenpolitiker fordern Wirtschaftssanktionen
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„Einzige Sprache, die Erdogan versteht“: Außenpolitiker fordern Wirtschaftssanktionen

Die offenbar völkerrechtswidrige Militäroffensive der Türkei in Syrien führt zu einer dramatischen Zuspitzung der Lage in der Region. Nato und EU stehen vor entscheidenden Herausforderungen. Deutschland und das übrige Europa sind nicht machtlos – betonen Experten von Grünen und FDP.

Man kann diplomatisch wortreich um eine Position herumreden oder Dinge direkt ansprechen. Bei den Luxemburgern ist es geradezu Tradition, brisante Erkenntnisse schnörkellos zu benennen. „Wir sind als Europäernicht in der Lage, das zu stoppen. Das muss man den Leuten ehrlich sagen“, klagte Außenminister Jean Asselborn heute in Brüssel. Mit „das“ meinte er die türkische Militäroffensive im Nordosten Syriens. Kapitulation mit Ansage. Der Sozialdemokrat machte zugleich deutlich, dass die Folgen für die Nato dramatisch sein können. „Stellen Sie sich vor, Syrien oder Alliierte von Syrien schlagen zurück und greifen die Türkeian“, sagte er. „Das heißt, dass alle Nato-Länder dann einspringen müssten, um der Türkei zu helfen.“

Das wäre dann der Bündnisfall. Für die Verbündeten in dieser Gemengelage eine Art GAU; Asselborn nennt dieses Szenario „außerirdisch“. Zu der Zuspitzung binnen weniger Tage kam es, weil sich die USA aus dem Gebiet zurückgezogen und die Kurden allein gelassen haben.

Mit der „Operation Friedensquelle“ hat die Türkei Angriffe auf syrische Orte entlang der Grenze gestartet. Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht, so betont er immer wieder,  die dortigen Kurdenmilizen als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, und die wird als Terrororganisation eingestuft.

Zuschauen als Politiker-Schicksal?

Kann Europa aktuell wirklich nichts tun? Zuschauen als Politiker-Schicksal? Das sehen wichtige Außen- und Verteidigungspolitiker der Opposition definitiv anders.

„Was man tun kann, ist nicht wenig“, meint Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin. „Europa ist nicht hilflos.“ Die Bundesrepublik könne – wie Frankreich– für alle Militärlieferungen einen „kompletten Lieferstopp“ durchsetzen, sagt Trittin im Gespräch mit FOCUS Online. Deutschland solle sich ein Beispiel nehmen an einem entsprechenden Entwurf für die Resolution, der in dieser Woche im US-Kongress verhandelt werde.

Trittin: Hermes-Bürgschaften stoppen

Ein Stopp weiterer „Hermes-Bürgschaften“ werde den türkischen Präsidenten sicherlich empfindlich treffen, meint Trittin. Es handelt sich dabei um staatliche Kreditgarantien für deutsche Exporteure und deren Banken, um sie vor einem Zahlungsausfall ihrer ausländischen Geschäftspartner zu schützen. „Das ist die einzige Sprache, die Erdoğan versteht“, glaubt Trittin. Der türkische Präsident reagiere in Wahrheit nicht auf eine wirkliche Bedrohung durch die von der Kurdenmiliz YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), sondern verfolge innenpolitische Motive. Es gebe unter Parlamentariern aus Nato-Staaten viel Einigkeit, dass man der Türkei signalisieren müssen, dass es um eine klare Völkerrechtsverletzung gehe, berichtet Trittin. Er ist nämlich gerade in London– bei der Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der Nato, zu der etwa 600 Teilnehmer und Gäste erwartet wurden. Die Eskalation in Nordsyrien ist bei dem Treffen naturgemäß das zentrale Thema.

Auch aus Sicht von Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Verteidigungsexpertin der FDP, ist Erdoğan am empfindlichsten über die Wirtschaftspolitik zu treffen. Sie sagt es fast mit denselben Worten wie Trittin. „Erdoğan braucht jetzt ein Signal in der Sprache, die er versteht, und das ist die Sprache der Wirtschaft“, so Strack-Zimmermann im Gespräch mit FOCUS Online. „Deutschland sollte nun gemeinsam mit Frankreich Wirtschaftssanktionen gegen Ankara vorantreiben.“ In einer solch dramatischen Lage, wie sich gerade entwickle, müsse „auch die Wirtschaft ihren Beitrag bringen“, betont die Düsseldorferin. „Wir plädieren daher dafür, dass die Hermes-Bürgschaften wieder gedeckelt werden auf 1,5 Milliarden Euro.“

„Erdoğan und Putin sehen, dass EU nicht handlungsfähig ist“

Strack-Zimmermann zeigt sich zugleich sehr beunruhigt über die Aufstellung, mit der die Europäische Union in diese Krise geht. „Die Despoten aller Länder – ob es nun ein Erdoğan oder ein Putin ist – sehen doch, dass Europa nicht handlungsfähig ist“, sagt Strack-Zimmermann. Das sei „das eigentliche Drama, das sich auch jetzt wieder in Syrien zeigt“. Es brauche „dringend einen kraftvollen und überzeugenden Schub bei der gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik“, drängt Strack-Zimmermann, „sonst können wir in unseren Sonntags- und Alltagsreden noch so oft die Einheit Europas beschwören oder besingen“.

„Gefährden die Stabilität und die Sicherheit der gesamten Region“

Der  Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, David McAllister sieht die Operation der Türkei als Gefahr für die gesamte Region. „Die einseitigen militärischen Maßnahmen der Türkei in Nordsyrien gefährden die Stabilität und die Sicherheit der gesamten Region sowie den Friedensprozess in Syrien“, rügt der CDU-Politiker. Die türkische Militäraktion solle „umgehend eingestellt und die Streitkräfte sollten zurückgezogen“ werden. „Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation sind Lieferstopps für Rüstungsgüter an die Türkei legitime Sanktionen“, meint McAllister. „Es kann nur eine diplomatische Lösung für die Sicherheitsbedenken der Türkei in Nordsyrien geben.“

Trotz der dramatischen Zuspitzung in Syrien hält der CSU-Außenpolitiker Volker Ulrich die diplomatischen Möglichkeiten noch nicht für ausgeschöpft. „Der große Hebel der Europäer ist nach wie vor die Diplomatie“, betont er. Es gehe jetzt darum, auf verschiedenen Kanälen auf „das Nato- und Europaratsmitglied“ Türkei einzuwirken.