Digitale Agenda der EU in der COVID-19 Pandemie
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Digitale Agenda der EU in der COVID-19 Pandemie

In diesen beispiellosen Zeiten der COVID-19 Pandemie konzentrierten sich die Maßnahmen zur Krisenbewältigung weitgehend auf die einzelnen nationalen Mitgliedsstaaten anstatt auf einen gemeinsamen europäischen Ansatz, was nicht zuletzt durch die bilaterale Schließung der Grenzen deutlich wurde. Wir sind uns jedoch einig, dass koordinierte Maßnahmen und Solidarität die europäischen Bürger sowie die Gesundheits- und Wirtschaftssysteme der EU Mitgliedsstaaten während dieser Krise am besten schützen können. Dazu gehört auch eine Anpassung der digitalen Strategie der EU an diese neue Situation.

Physische Distanzierungsmaßnahmen, die Millionen von Europäern dazu anweisen, von zu Hause aus zu arbeiten, zeigen deutlich, wie die Erweiterung und der Schutz unserer digitalen Infrastruktur ein wesentlicher Bestandteil bei der Eindämmung des Virus ist. Jedoch können auch weitere digitale Lösungen die Ausbreitung von COVID-19 eindämmen. Die gemeinsame Nutzung anonymisierter lokaler oder aggregierter Daten in Tracing-Apps trägt dazu bei, Infektionsketten nachzuvollziehen, Nutzer nach Kontakt mit infizierten Personen zu benachrichtigen, die Auswirkungen restriktiver Maßnahmen aufzuzeigen und so zu wirksamen Ausstiegsstrategien zu verhelfen. Die Technologie der künstlichen Intelligenz (KI) kann bei der Vorhersage helfen, wie sich Infektionen ausbreiten oder wie viele Intensivbetten benötigt werden. Darüber hinaus können digitale Lösungen dazu beitragen, die Verbreitung von Fake News über das Virus zu bekämpfen und uns vor falschen Narrativen zu schützen, die von feindlichen Gruppen verbreitet werden.

Um das Potenzial solcher digitalen Lösungen voll auszuschöpfen, müssen wir jedoch unsere EU-Digitalpolitik und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit anpassen – nicht nur, um diese und alle künftigen Gesundheitskrisen zu bekämpfen, sondern auch, um im globalen Maßstab wettbewerbsfähig zu bleiben.

Die folgenden Maßnahmen sollten als Reaktion auf die COVID-19-Krise und als Lehren, die aus dieser Krise für die Digitale Agenda der EU gezogen werden müssen, ergriffen werden:


I. Verwendung einer einheitlichen europäischen Datenarchitektur für Tracing Apps zur Eindämmung von COVID-19

  • Die Verwendung von Tracing Apps zur Verfolgung von Infektionsketten, zur Warnung möglicherweise infizierter Personen und zur Analyse der Wirksamkeit restriktiver Maßnahmen hat sich in Ländern wie Südkorea und Singapur als Mittel zur Bekämpfung der Krise bewährt
  • Statt vielen unterschiedlichen Apps aus den 27 Mitgliedstaaten brauchen wir eine gemeinsame Architektur für Tracing Apps, auf der die einzelnen nationalen Initiativen aufgebaut werden, damit sie über EU-Grenzen hinweg kompatibel und interoperabel sind
    • Dies bietet die Möglichkeit, nach einer COVID-19 Diagnose auch dann mögliche Kontaktpersonen zu informieren, wenn sich der Infizierte in den letzten 14 Tagen im Ausland aufgehalten hat
    • Private oder kommerzielle Initiativen sind willkommen, sollten aber aufgrund der Sensibilität des Themas nur zu einer gemeinsamen europäischen Lösung beitragen dürfen. Es sollte ihnen nicht erlaubt sein, von solchen Krisen zu profitieren
  • Die Tracing Apps sollten mit den EU Datenschutzstandards (DSGVO) harmonisiert sein
    • Die Daten sollen nur innerhalb der EU gespeichert und anonymisiert gesammelt werden können
    • Die Nutzung jeglicher Gesundheitsdaten sollte nur zum Zweck der Bekämpfung des Virus, des Schutzes der Bürger und der europäischen Gesundheitssysteme erfolgen und auf die Zeit der Krise beschränkt sein
    • Grenzen der Datenanonymisierung müssen in der DSGVO geklärt werden
  • Obwohl wir das Prinzip der freiwilligen Nutzung unterstützen, müssen min. 60% der europäischen Bürger eine Tracing App herunterladen, damit Kontaktketten wirkungsvoll unterbrochen werden können. Daher müssen Bürger über die Vorteile der Nutzung von Tracing Apps informiert werden. Wir müssen auch Anreize zur Nutzung der App schaffen, wie z.B. die Lockerung restriktiver Maßnahmen für App-Benutzer, wenn sie ins Ausland reisen oder in Restaurants gehen 
  • Über eine gemeinsame Architektur hinaus würde eine einzige europäische App dazu beitragen, Grenzkontrollen und Reisebeschränkungen zu reduzieren
  • Wir halten eine gemeinsame Datenanalyse auf europäischer Ebene als Grundlage für künftige europäische Lösungen für erforderlich, auch wenn die Datensammlung europäisch dezentral in den Mitgliedsstaaten erfolgt. Die bereits von der Kommission eingeführte Plattform für den Austausch mit Gesundheitsexperten zur Bekämpfung des Virus sollte dementsprechend erweitert werden 
  • Eine Bewertung und Evaluierung von solchen Apps nach der Krise ist notwendig, um zur digitalen Infrastruktur für weitere globale Gesundheitskrisen beizutragen
  • Die weitere Analyse von Meta- und GPS-Daten von Netzanbietern, die bereits stattfindet, ist ein zusätzliches hilfreiches Instrument zur Identifizierung von Gebieten mit hohen Infektionsraten
  • Darüber hinaus ist eine gemeinsame Datenbank für Intensivbetten, Schutzausrüstung, Blutkonserven und die Rückholung europäischer Bürgern in allen Mitgliedstaaten für eine bessere Koordinierung erforderlich, um schnell auf überforderte Regionen reagieren zu können


II. Einsatz künstlicher Intelligenz zur Unterstützung von Diagnose, Prognose und Behandlung von COVID-19

  • Künstliche Intelligenz kann die Kapazitäten für Diagnose, Prognose und Behandlung von COVID-19 weiter erhöhen, in die die EU investieren sollte. Zum Beispiel:
    • Da generische Tests knapp sind, können ‚deep learning‘ Netzwerke Röntgenaufnahmen analysieren, um Radiologen zu entlasten, die mit COVID-19-Patienten überlastet sind
    • Vorhersagen über Bausteine des Virus wurden veröffentlicht, die wichtige Informationen zur Entwicklung eines Impfstoffs und einer Behandlung für das Virus liefern
    • KI-Tools haben sich bewährt, um mit einer Genauigkeit von 80% vorherzusagen, ob ein Patient Gefahr läuft, durch die Infektion einen Lungenschaden zu erleiden oder ein Beatmungsgerät zu benötigen
  • Solche Lösungen erfordern jedoch Training der KI Systeme auf Grundlage einer enormen Menge qualitativ hochwertiger Daten – was durch fehlenden Zugang aufgrund unvollständiger und inkonsistenter Datensätze und EU-Mitgliedstaaten, die Daten in Silos sammeln, erschwert wird und die Einführung solcher Lösungen verlangsamt. Wir brauchen eine europäische Plattform, um in der gesamten EU qualitativ hochwertige Daten in anonymer Form zum Zweck der Schulung von KI-Systemen zu sammeln
  • Wir müssen die derzeitige Rechtsunsicherheit bezüglich der Datenverarbeitung (insbesondere bei der Verwendung von Gesundheitsdaten im Rahmen der DSGVO) verringern und gemeinsame Standards einsetzen, die eine grundlegende Interoperabilität in einem europäischen Datenraum anstelle verschiedener EU-Informationssysteme ermöglichen
  • Für den Fall, dass die Mitgliedsstaaten oder die EU über die Nutzung digitaler Gesundheitszertifikate / Immunitätspässe / Impfpässe zur Öffnung von Grenzen nachdenkt (spätestens wenn eine Impfung großflächig zur Verfügung steht), brauchen wir eine gemeinsame digitale Architektur dieser Zertifikate auf europäischer Ebene. Um das Vertrauen in die Zertifikate zu erhöhen, bedarf es einer sicher verwalteten Datenbank mittels Distributed-Ledger-Technologie (z.B. Blockchain), um Missbrauch zu verhindern. Die Zertifizierung einer Immunität muss gemeinsam auf aktuellem medizinischen Sachstand zur Immunität beruhen und die Ausbreitung des Virus nicht weiter verstärken
  • Diese neuen Formen des Datenaustauschs sollen eine Vorlage für die nächste Krise sowie eine bessere Koordination zwischen den Gesundheitssystemen bieten


III. Bekämpfung von Cyberangriffen und Fake News

  • Digitale Infrastrukturen, auch innerhalb des Europäischen Parlaments selbst, sind anfällig für Cyberangriffe, und die Sicherheits-/Schutzmaßnahmen müssen verstärkt werden. Der EU-Zertifizierungsrahmen für digitale IKT-Produkte, -Dienstleistungen und -Prozesse, der mit dem Cybersecurity Act vorgeschlagen wird, könnte als Vorlage für die Sicherheitsindikation dienen. Die Europäische Zertifizierungsgruppe für Computer- und Netzsicherheit sollte beauftragt werden, vorrangig Empfehlungen zu diesem speziellen Thema auszusprechen.
  • Die Verbreitung von Fake News zum COVID-19 Virus, sowie falscher Narrativen, die von Gruppen verbreitet werden, die den Grundwerten der Europäischen Union feindlich gegenüberstehen, muss auf koordinierte Weise bekämpft werden
  • Die Verantwortlichkeiten der Plattformbetreiber müssen in dieser Hinsicht neu bewertet werden, und die Notice-and-take-down-Verfahren müssen strikt angewandt werden


IV. Digitale Bildung und Kultur

  • Wir sollten uns im Rahmen des Europäischen Bildungsraums auf die Schaffung einer europäischen Bildungsplattform mit altersspezifischen digitalen Bildungsangeboten konzentrieren, um Bildungsmaterial gemeinsam zu nutzen, zu koordinieren und bewährte Praktiken zwischen den Mitgliedstaaten auszutauschen
  • Im Rahmen des Aktionsplans für digitale Bildung müssen wir darauf bestehen, dass die Mitgliedstaaten bei der Entwicklung von Schullehrplänen den Schwerpunkt auf die Ausbildung von Medienkompetenz und die Vermittlung digitaler Fertigkeiten legen
  • Wir brauchen gezielte Investitionen in digitale Infrastrukturen in Schulen und Bildungseinrichtungen
    • Mehr Internetkapazität in Schulen und zu Hause (Breitbandabdeckung und aktuelle Bandbreite)
    • Verbesserung der digitalen Infrastruktur insbesondere für Menschen mit geringeren Möglichkeiten, so dass sie keinen Wettbewerbsnachteil haben (Null-Rating-Lösung für Bildungsinhalte)
  • Zusammen mit Interessenvertretern aus dem Kultur- und Kreativbereich wie Museen, Konzerthallen, Künstlern und bildenden Künsten sowie Initiativen zur Digitalisierung kultureller und kreativer Inhalte wie Europeana muss eine Plattform für europäische Kultur und Kreativität entwickelt werden, die Zugang zu europäischen kulturellen Inhalten im Internet bietet und gleichzeitig eine gerechte Vergütung für die Urheber gewährleistet
  • Die Zusammenarbeit mit Kreativen, d.h. Künstlern, Designern oder Kunsthandwerkern, aber auch mit Forschungs- und Ausstellungspartnern aus anderen Kultureinrichtungen und Sammlungen, ist digital komplexer geworden. Daher sind der Austausch und die langfristige Speicherung von Daten besonders wichtig. Eine geeignete digitale Plattform, die Lösungen für die eminent praktischen Probleme der museumsübergreifenden Zusammenarbeit bietet, fehlt auf europäischer Ebene noch immer. Im Rahmen des Programms Horizon Europe wird ein „Europäischer Kooperationsraum einschließlich, aber nicht beschränkt auf das Kulturerbe“ eingerichtet, der auch Cloud-Dienste umfasst. Diese Idee sollte so schnell wie möglich umgesetzt werden


V. Lehren aus der Krise: Ausbau der digitalen Kapazitäten in der gesamten EU in koordinierter und souveräner Weise

  • Die plötzliche Ausweitung der Home-Office Strukturen und die von den Mitgliedstaaten und der Kommission ergriffenen Folgemaßnahmen (wie z.B. die Verschlechterung der Qualität auf Plattformen wie Netflix und YouTube) zeigen einen Mangel an kohärenter Infrastruktur, die unverzüglich ausgebaut werden muss
  • Die exponentielle Nutzung von Plattformen wie Zoom, Microsoft Teams oder Skype zeigt die Abhängigkeit von internationalen Unternehmen (die, wie z.B. Zoom gezeigt hat, ihre gesammelten Daten ohne Einhaltung der DSGVO-Standards austauschen können), die durch europäische Lösungen verringert werden sollte
  • Anbieter von Cloud-Computing und Cloud-Storage gehören zu den wenigen Unternehmen, die bei der Coronavirus-Pandemie als Gewinner hervorgingen, da die Ausgangssperren zu mehr Online-Aktivitäten führten. Angesichts dieser Entwicklungen und der Tatsache, dass es sich bei den meisten dieser Cloud-Computing-Anbieter um US-amerikanische Technologieunternehmen handelt, sollte die im Februar 2020 vorgestellte Datenstrategie der Kommission vorrangig umgesetzt werden, insbesondere im Hinblick auf Investitionen in europäische Datenräume und vertrauenswürdige und energieeffiziente Cloud-Infrastrukturen
  • Wir müssen auch die Kapazitäten für E-Health und die Kompatibilität der Gesundheitssysteme der jeweiligen Mitgliedsstaaten erhöhen. Der Coronavirus hat uns bereits gelehrt, dass ein Arztbesuch nicht immer notwendig ist. Mit einer besseren Infrastruktur kann unser Gesundheitssystem viel effizienter und gleichzeitig qualitativ hochwertiger sein
  • Basierend auf dem Erfolg des ersten paneuropäischen Hackathons, der im April unter dem Namen „EUvsVirus“ stattfand, sollte dieses digitale Kooperationsformat zwischen Bürgern, Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung als wiederkehrende Veranstaltung etabliert werden, welches „Bottom-up“-Innovationen und das Engagement der Bürger fördert
  • Es sollte eine europäische digitale Industrieinitiative gestartet werden mit dem Ziel, europäische „Digital Champions“ zu schaffen, die mit amerikanischen und chinesischen Marktführern konkurrieren können
  • Digitale Konglomerate sollten auf Kartellverstöße und Marktmissbrauch überprüft werden
  • Maßnahmen für effektive E-Governance sollten weiterentwickelt und verstärkt werden, um Mitgliedstaaten, Regionen und lokale Behörden in der Verbesserung der Qualität und Innovation der öffentlichen Dienste zu unterstützen
  • Open-Source-, Open-Science- und Open-Data-Projekte sollten initiiert, evaluiert und unterstützt werden, wenn sie hilfreich sind