Corona-Krise – die finanz- und wirtschaftspolitische Herausforderung
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Corona-Krise – die finanz- und wirtschaftspolitische Herausforderung

Der Ausbruch des Corona-Virus hat Europa ein Stück weit unvorbereitet getroffen. Nach einer gewissen Anlaufzeit hat die Europäische Union jedoch am Ende entschlossen reagiert und ein erstes Maßnahmenbündel auf den Weg gebracht. Die Debatte um den richtigen Umgang mit und Konsequenzen aus der Krise läuft weiter. Dabei werden viele Ideen in einen Topf geworfen und Vorschläge aufgegriffen, die einige schon immer in Sachen Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion erreichen wollten. Nicht jede Maßnahme taugt aber für jedes Stadium der Krise. Digitalisierung und Dekarbonisierung sind zudem langfristige Querschnittsaufgaben. Deswegen hilft es, den Krisenverlauf in vier Phasen mit jeweils unterschiedlichen Charakteristika, Herausforderungen und Lösungsansätzen zu unterteilen.

Phase 1: Ausbruch und Verbreitung des Virus

Die erste Phase, die vom Ausbruch und der Verbreitung des Virus gekennzeichnet war, war vor allem eine gesundheitspolitische Herausforderung. Aus wirtschafts- und finanzpolitischer Sicht ging es vor allem darum, dass die Europäische Union den Bemühungen der Mitgliedstaaten nicht im Wege steht. Das schnelle Aussetzen der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, die Verabschiedung eines temporären Beihilferahmens, der den Mitgliedstaaten, die maximal mögliche Flexibilität ermöglicht, sowie die schnelle Umwidmung von Teilen der Strukturfonds und anderer ungenutzter Mittel waren entsprechend die folgerichtigen Maßnahmen. Im Bankenbereich wäre es nunmehr ratsam, bestehende Regeln etwa im Bankenaufsichtsrecht zeitweise flexibler auszulegen, anstatt den Rechtsrahmen dauerhaft zu ändern.

Phase 2: Shutdown

Das öffentliche Leben ist weitgehend zum Erliegen gekommen und auch die Wirtschaft steht mit Ausnahme einiger weniger Bereiche still. Selbst gut aufgestellte und solide geführte Unternehmen sind in Liquiditätsprobleme geraten. Die Mitgliedstaaten haben entsprechend Programme in ungekannter Größenordnung aufgelegt, um die Wirtschaft zu unterstützen. Die Europäische Zentralbank (EZB) unterstützt die staatliche und private Liquidität durch ein zusätzliches Anleihefkaufprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro.

Zudem hat die europäische Notenbank ein spezielles Notkreditprogramm aufgelegt (Änderung des TLTRO III) und Kapitalregeln für Banken gelockert. Damit hilft die EZB den Banken, sodass diese auch in dieser Krisenzeit ihre Kunden, Privathaushalte und kleine Firmen weiterfinanzieren können.

Im Fokus steht nun vor allem die Versorgung mit Liquidität – sowohl für die Mitgliedstaaten als auch direkt für die Unternehmen. Die Europäische Union kann diesen Prozess mit bereits etablierten Strukturen unterstützen. Neben Garantien und Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB) kann auch auf sehr günstige Kreditlinien des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zurückgegriffen werden. Der geschäftsführende Direktor des ESM Klaus Regling hat bereits darauf hingewiesen, dass die dafür notwendigen Kriterien einer eingeschränkten Konditionalität (Kredite werden für krisenbedingte Ausgaben aufgewendet) und Zugang zum Kapitalmarkt von allen antragsberechtigten Staaten erfüllt werden könnten. Ein formales ESM-Programm mit Troika-ähnlichen Strukturen wäre nicht notwendig, was die Eurogruppe bestätigt hat.

Ergänzt werden sollen EIB- und ESM-Mittel durch das von der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagene Programm zur Mitfinanzierung von Kurzarbeit („SURE“), ein Ansatz der sich gerade in Deutschland für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bewährt hat und jetzt für die Zeit der Krise in vielen Mitgliedsstaaten helfen wird. Die CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament steht hinter den drei Säulen der Finanzierung aus ESM-, EIB- und eigenen Haushaltsmitteln.

Phase 3: Wiederaufbau

Auch wenn die Stabilisierung der Wirtschaft in Phase 2 weitgehend gelingt, wird die Krise nicht spurlos an der europäischen Wirtschaft vorbeiziehen. Es wird in den kommenden Jahren beachtliche Anstrengungen und auch beachtliche Investitionen brauchen, um die europäische Wirtschaft wieder auf das Vorkrisenniveau zu bringen und fit für die Zukunft zu machen.

Abermals werden dazu die Europäische Investitionsbank und der Europäische Stabilitätsmechanismus gefordert sein. Diesmal geht es aber nicht um kurzfristige Liquiditätshilfen, sondern um ein langfristiges Kreditprogramm zu günstigen Konditionen. Angesichts der Größe der Herausforderungen befürworten wir eine Aufstockung des Eigenkapitals von ESM und EIB für Programme, die aus der Krise helfen.

Flankieren könnte ein zeitlich begrenzter europäischer Wiederaufbau- und Wachstumsfonds (WWF), der an die bewährten Strukturen des „Junkerfonds“ zu knüpfen wäre. Auf der Basis von Garantien aus dem EU-Haushalt, zweckgebundenem Geld der Mitgliedstaaten sowie EIB-Sicherheiten könnten enorme Hebelwirkungen entstehen, deren Wirkungen vor allem in nachhaltigen Infrastruktur-Investitionen (Energienetze), modernen Sozialprojekten (grenzüberschreitende Infrastrukturen für Gesundheit, Seuchenbekämpfung etc.) oder in Umstellungen industrieller Produktionsverfahren auf Wasserstoff- und Grünstrombasis entstehen sollten.

Für den WWF wäre eine befristete Budgetlinie „Wiederaufbau“ im Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) vorzusehen, die zusätzliche Mittel vorsehen sollte. Dazu braucht es einen mehrjährigen Finanzrahmen, der ausreichend ausgestattet ist und den Erholungsprozess der Wirtschaft in der gesamten EU robust unterstützt. Die Beschlusslage des Europäischen Parlaments in Bezug auf die Höhe des MFRs könnte dabei Orientierung geben.

Phase 4: Schrittweise Rückkehr zur Normalität

Mit den neuen Schulden der Corona-Krise werden wir über Jahre kämpfen müssen. Nach der letzten Finanzkrise hat Deutschland rund zehn Jahre gebraucht, um das Verschuldungsniveau wieder auf das Level von vor der Krise zu bringen. Es war insbesondere die zurückhaltende Haushaltspolitik der vergangenen Jahre, die Deutschland diese beherzte Reaktion erst ermöglicht hat. Viele andere Mitgliedstaaten sind jedoch mit einer viel schwächeren fiskalischen Position in die Krise gegangen. Angesichts der Kombination aus einem rapide fallenden Bruttoinlandsprodukt und rapide steigender Staatsverschuldung lässt sich nicht ausschließen, dass ein Mitgliedstaat in den kommenden Jahren in finanzielle Probleme geraten könnte. Um auf einen solchen Fall vorbereitet zu sein, darf die Feuerkraft des ESM nicht vollkommen erschöpft werden.

Darüber hinaus werden wir langfristig darüber nachdenken müssen, wie sich das hohe Verschuldungsniveau in den EU Mitgliedstaaten, das bereits vor der Krise ein Problem war, nun aber nochmals verschärft wurde, wieder auf ein nachhaltiges Niveau reduziert werden kann. Die bisherigen Mechanismen der haushaltspolitischen Überwachung im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes haben sich nicht bewährt – auch weil es der Europäischen Kommission an den Mitteln und am politischen Willen fehlte, die Fiskalregeln effektiv durchzusetzen. Langfristig braucht es hier einen deutlich effektiveren Ansatz in der Haushaltsüberwachung, etwa mit vereinfachten Six-/Two-Pack-Regeln, die sich stärker auf das Schuldenkriterium und das tatsächliche Ausgabenwachstum fokussieren.

Zudem muss klar sein, dass jedwede Krisenhilfe zeitlich begrenzt ist und Maßnahmen mit europäischem Mehrwert (Digitalisierung, Netzausbau, Energienetze, grenzüberschreitende Gesundheit) zu unterstützen sind. Wichtig ist auch, dass Ländern, denen heute mit europäischen Instrumenten aus der Krise geholfen wird, ihre nationale Politik künftig nicht gegen EU Interessen ausrichten. Die Verbindlichkeit des europäischen Semesters sollte in dieser Hinsicht verschärft werden, gerade was den nationalen Umgang mit – gesamteuropäischen – kritischen Infrastrukturen angeht.

Schließlich muss klar sein, dass es eine verbindliche Exit-Strategie der krisenverursachten Beihilfe-Lockerungen, dem Aussetzen des Stabilitäts- und Wachstumspakts, der ESM-Sonderkonditionen und des PEPP-Ankaufprogrammes geben muss. So ist die Bilanzsumme der EZB bereits auf 40 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung angewachsen, eine Entwicklung, die sich nicht beliebig fortsetzen lässt, ohne die Währungsstabilität zu gefährden.

Zudem sind europäische und nationale Politik jetzt gefordert, den Unternehmen den Wiederanfang bzw. Aufholprozess zu erleichtern und Spielräume für Investitionen zu ermöglichen.