In der Diskussion um Impfstofflieferungen von AstraZeneca, hatte die Kommission in einem Entwurf für ein Transparenz- und Genehmigungsmechanismus hinsichtlich der Ausfuhr von COVID-19-Impfstoffen erwogen, Artikel 16 des Protokolls zu Irland und Nordirland anzuwenden.
Dieser Artikel 16 ermächtigt einseitige Schutzmaßnahmen einzuführen, sofern: „die Anwendung des Protokolls zu schwerwiegenden und voraussichtlich anhaltenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder ökologischen Schwierigkeiten oder zur Verlagerung von Handelsströmen“ führt.
Die Kommission hat diese Entscheidung am Freitag Abend (29. Februar) nach knapp drei Stunden umgehend wieder rückgängig gemacht. Dennoch sorgt dieser Vorgang für ein politisches Nachbeben. Mittlerweile hat die Kommission ihren Fehler eingeräumt. Ursula von der Leyen sagte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung wörtlich, „dass die Kommission nicht einmal über Artikel 16 hätte nachdenken sollen.“
Dieser bedauerliche Fehler sollte aber nicht zu einer grundsätzlichen Infragestellung des Protokolls zu Nordirland führen. Dieser schwierige politische Kompromiss ist sozusagen die Quadratur des Kreises in Anbetracht der angespannten Lage auf der irischen Insel, so habe ich es am Sonntag im BBC Radio formuliert.
Zur Erinnerung: das Protokoll zu Irland und Nordirland
• vermeidet eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland,
• ermöglicht reibungslose Wirtschaftsabläufe auf der gesamten irischen Insel,
• hält das Karfreitagsabkommen (Belfast Abkommen) in all seinen Aspekten aufrecht und
• gewährleistet die Integrität des EU-Binnenmarktes für Waren.
Die aktuellen Schwierigkeiten sind zuallererst eine direkte Konsequenz aus der Art des Brexit selbst. Ein reibungsloser Handel - wie zuvor - kann schlichtweg nicht mehr gewährleistet werden. Die eigentlichen Gründe für den medialen und politischen Aufruhr sind die praktischen und politischen Herausforderungen, die die britische Regierung hat, um das Protokoll zu Nordirland korrekt und vollständig umzusetzen. Anstatt das Protokoll in Frage zu stellen, sollten Lösungen für die noch offenen Fragen gefunden werden.
Die neuen Regelungen sind erst seit fünf Wochen wirksam. Anscheinend haben sich die britischen Unternehmen nicht ausreichend auf die anstehenden Veränderungen eingestellt. Darüber hinaus: London hat es versäumt wichtige Schritte einzuleiten. So wurde der EU immer noch nicht der Zugang zum britischen IT-Zollsystem ermöglicht, wodurch EU-Beamte daran behindert werden, die Warenströme über die Irische See in Echtzeit zu überwachen.
Das Protokoll bietet genügend Flexibilität, um die Handelshemmnisse an den Grenzen zu minimieren. Je früher alle Möglichkeiten genutzt werden, desto besser.
Kommissionvizepräsident Maroš Šefčovič wird dazu am heutigen Donnerstag nach London reisen, um den Prozess zu beschleunigen. Er steht mit dem britischen Staatsminister Michael Gove im engen Kontakt. Beide Seiten wollen intensiv an Lösungen für noch offene Fragen zur Umsetzung des Protokolls arbeiten.
Mein Interview im Radio BBC 4 am 7. Februar finden Sie hier (ab 16:55 Min.).